Deshalb sind Pflegeheime so teuer

09. August 2023

Fünf Millionen Menschen sind in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamt pflegebedürftig. Die Mehrzahl wird zu Hause versorgt, etwa 800.000 Menschen leben in Pflegeheimen – doch das wird immer teurer: Nach Berechnungen des Verbandes der Ersatzkassen ist die monatliche Eigenbeteiligung innerhalb eines Jahres im Schnitt um 348 Euro auf 2548 Euro gestiegen. Warum? Das erklärt Bernhard Pammer, Geschäftsführer der AGAPLESION WOHNEN & PFLEGEN SÜD, die den Sitz in Darmstadt hat und dem Verbund des Gesundheitskonzerns AGAPLESION gAG angehört sowie in Hessen rund 1000 Heimplätze anbietet.

Herr Pammer, eine bundesweite Report-Mainz-Umfrage bei Kliniken hat im Juni ergeben, dass Patientinnen und Patienten nach einer Behandlung oftmals länger auf der Station bleiben müssen, weil kein Pflegeheim sie aufnimmt. Gibt es in Ihren Einrichtungen auch keine freien Betten mehr?
Ob wir Patienten aufnehmen können oder nicht, hängt erstmal von der Schwere der Erkrankung ab. Beatmungspatienten oder Suchtkranke zum Beispiel, die dürfen wir gar nicht aufnehmen. Der größte Hemmschuh ist jedoch das fehlende Personal. Das heißt: Betten sind da, ich könnte also auch Patienten aufnehmen, aber ich kann sie, weil Personal fehlt, nicht adäquat versorgen, wie es der Versorgungsvertrag vorgibt.

Was passiert mit den Patienten, die nach einer stationären Behandlung keinen Platz im Pflegeheim bekommen? 
Die bleiben entweder im Krankenhaus, was jedoch aufgrund der Fallpauschalen zu hohen Kosten führt. Klinikbetten sind um ein Vielfaches teurer als ein Pflegeplatz bei uns. Oder sie stellen eine Haushaltshilfe ein. Das können sich aber nur diejenigen leisten, die eine ordentliche Rente bekommen und zuhause Platz für die Hilfskraft haben. Viele haben das Geld nicht und lassen sich deshalb von Angehörigen pflegen. Oder von ambulanten Pflegediensten. Allerdings fehlt auch dort Personal.

Und auch die ambulante Pflege gibt es nicht umsonst. 
Sie ist sogar teurer im Vergleich zu einem stationären Pflegeplatz. In der ambulanten Pflege muss jede Handreichung bezahlt werden. Wenn ein Patient bei uns Kompressionsstrümpfe angezogen bekommt, dann ist das im Preis enthalten. 

Doch die Preise steigen ja auch bei Ihnen. Warum?
Wir bereiten gerade die Pflegesatzverhandlungen vor, die alle Teuerungen auffangen müssen, die in den vergangenen Monaten auf uns zugekommen sind. Von uns wird verlangt, dass wir alles vorausschauend einpreisen – doch Inflation, Ukrainekrieg, Materialpreiserhöhungen und Lohnsteigerungen waren nicht vorhersehbar. Ein Antrag auf unterjährige Pflegesatzerhöhung wurde von den Pflegekassen im Frühjahr abgelehnt. Da die Pflegekassen nicht mehr bezahlen, wird das den Eigenanteil der Bewohner nun drastisch nach oben treiben, weil alle Preissteigerungen der letzten 12 bis 15 Monate nachgeholt und auch künftige Preis- und Lohnsteigerungen bereits jetzt einfließen müssen. 

Doch schon jetzt können sich viele Menschen das Leben im Pflegeheim nicht mehr leisten.
Die Politik gibt uns stets den Rahmen vor. Letztendlich müssen wir kostendeckend arbeiten und bei den Verhandlungen mit den Kassen vorab alles einpreisen, was war und was kommt. Es ist ja nicht wie im Lebensmittelmarkt, wo der Anbieter einseitig und kurzfristig die Preise verändern kann. Dann entscheidet der Konsument, ob er die Ware kaufen will oder nicht. Oder ob er zum Discounter geht. Wir können, wenn alles teurer wird, unsere Preise unterm Jahr nicht erhöhen, sondern müssen das Geld bis zu den nächsten Pflegesatzverhandlungen vorschießen.

Um wieviel teurer wird das Leben im Pflegeheim denn?
Wir kalkulieren, je nach Einrichtung, zwischen 20 und 30 Prozent mehr. Es gibt Menschen, bei denen dann die Rente nicht mehr ausreicht, das heißt: sie werden dann zum Sozialfall.

Ich fasse mal kurz zusammen: Die Altenpflege ist drastisch unterfinanziert, das System der Pflegesätze ist reformbedürftig und es fehlen Fachkräfte. Hinzu kommt der demografische Wandel. Sind die Pflegeheime darauf vorbereitet?
Formal müssten wir in Deutschland rund 2000 neue Pflegeeinrichtungen bauen, um die Babyboomer später pflegerisch zu versorgen. Es werden künftig also mehr Pflegeplätze gebraucht und damit aber auch mehr Personal. Dieses Problem ist seit Jahrzehnten bekannt. Die Politik hat wenig getan und bricht nun in Aktivismus aus und schlägt vor, das Personal aus dem Ausland zu holen – verschiedene Minister fliegen in alle möglichen Länder, um das schön öffentlichkeitwirksam zu tun. Wir tun das ja auch schon längst. Aber aus vielen Ländern gibt es keine entsprechenden Kräfte mehr, weil sie sie dort selbst brauchen. Zum anderen sind unsere Anforderungen an Fachkräfte sehr hoch. Wir haben zum Beispiel Pflegekräfte von den Philippinen eingestellt, die uns jedoch schnellstmöglich wieder verlassen, sobald sie eine Stelle in einer Klinik in Aussicht haben. Warum? Weil sie es aus ihrem Heimatland gar nicht gewohnt sind, ausschließlich mit alten und kranken Bewohnern und dem Sterben zurechtzukommen. Sie sind in ihrer Heimat speziell für die Arbeit in Krankenhäusern ausgebildet worden. Eine stationäre Altenpflege gibt es dort nicht, weil alte Menschen noch im Familienverbund gepflegt werden.

Sie könnten Leiharbeiter einstellen, oder?
Wenn ich Leiharbeiter einstelle, kosten diese wesentlich mehr. Das wird über den Pflegesatz nicht erstattet und so legen wir Geld drauf, was wir uns nicht leisten können.

Was also tun?
Das Image der Pflegeberufe verbessern. Es fehlt die Anerkennung der Pflegeberufe in der Öffentlichkeit. Häufig wird die Arbeit aber auch von den Pflegenden selbst schlechtgeredet nach dem Motto: Ich muss viel arbeiten und verdiene zu wenig. Das öffentliche Bild ist über Jahrzehnte sehr ramponiert. Da sind auch die Medien in der Pflicht. Und: die Politik muss endlich verbindlich und vorausschauend handeln.

Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Seit 1. Juli haben wir ein neues Personalbemessungsverfahren. Hintergrund ist, dass Fachkräfte im Pflegealltag immer noch häufig einfache Arbeiten übernehmen. Waschen oder Essen reichen zum Beispiel. Das sind Arbeiten, die von Hilfskräften erledigt werden könnten. Die Fachkräfte hätten dann mehr Zeit für die Behandlungspflege, die Dokumentation oder für die Verabreichung von Medikamenten. Das würde das System erheblich entlasten – wenn die vorgeschriebene Fachkraftquote damit aufgehoben wird.

Klingt gut, wo ist der Haken?
Das Gesetz ist verabschiedet, doch es gibt einen Pferdefuß: Einige Länder – Hessen gehört dazu – haben die Ausführungsbestimmungen noch nicht auf den Weg gebracht und die geplanten Piloteinrichtungen, die das Testen sollten, gibt es auch noch nicht. Damit gibt es keine Entlastung. Doch klar ist auch, selbst wenn das Land aktiv und das neue Verfahren angewandt wird, muss ich erstmal überhaupt Hilfskräfte finden und wer muss sie letztendlich bezahlen? Die Bewohner oder deren Angehörige. Damit schließt sich wieder der Kreis der Problemthemen in der Pflege.

Was brauchen die Alten- und Pflegeheime momentan am dringlichsten? 
Eine generelle Überarbeitung der Rahmenbedingungen was den Personaleinsatz und die Finanzierung der Pflege angeht und eine Ehrlichkeit der Politik, dass das nicht zum Nulltarif zu haben sein wird!
Wir brauchen alle, ob Pflegeheimbetreiber oder jeder Einzelne eine verlässliche und langfristige Perspektive, denn wir alle werden älter und wollen oder müssen oft entsprechend versorgt werden. Nur mit Reden kommen wir nicht mehr weiter!

Quelle: Echo Zeitungen, August 2023
Das Interview führte Sabine Schiner.